Olaf Kistenmacher hat eine Annotation zu meinem aktuellen Buch verfasst, auch wenn er ansonsten findet, dass es keine Besprechung lohne, weil ein Teil der Texte schon anderweitig veröffentlicht ist.[1] De facto ist es nur der kleinere Teil des Buches, der auf wiederveröffentlichten Texten basiert; diese wurden zudem z.T. erheblich überarbeitet. Die dann aber doch recht ausführliche Replik Kistenmachers gilt es jedoch zu beantworten, obwohl sie nur ein kleines Detail der Arbeit betrifft, dies aber zum Ausgangspunkt einer Polemik mit persönlichen Anschuldigungen macht.
Ein Aufsatz im Buch – dieser tatsächlich im Vergleich mit dem Original quasi unverändert – resümiert den Forschungstand zur Geschichte des problematischen Verhältnisses der DDR zu Israel und den Jüdinnen und Juden. Ein Teil von dessen Vorgeschichte sind antisemitische Positionierungen aus der KPD, besonders berüchtigt darin Ruth Fischers bizarre Rede vor „völkischen Gegnern“ , in welcher sie unter anderem von „Judenkapitalisten“ spricht. Mir scheint der Fehler unterlaufen zu sein, als Quelle für dieses Fischer-Zitat nur, wie an verschiedenen Stellen kolportiert, den sozialdemokratischen „Vorwärts“ angegeben zu haben, nicht auch den Linkskommunisten Franz Pfemfert. Ich habe zum Missfallen Kistenmachers die Objektivität des Vorwärts-Berichts hinterfragt (man bedenke die hasserfüllten Auseinandersetzungen zwischen SPD und KPD in der Weimarer Republik als Kontext). Die weitere Quelle verändert dies Bild nun ein wenig. Sollte es eine Neuauflage geben, wird das gegebenenfalls zu berichtigen sein.
Erstaunlich ist angesichts dieser Kleinigkeit die Schärfe seiner Vorwürfe, wie die Spekulation über möglicherweise vorsätzliches Verschweigen und Verfälschung. Denn das Anzweifeln des Vorwärts–Berichts ist nur ein kleines, noch dazu in die Fußnote verbanntes Argument unter vielen anderen, mit denen ich die Interpretationen Kistenmachers zu relativieren versuche (mehr aber auch nicht), welcher m.E. die antisemitischen Aspekte der KPD überbewertet. Das ist, wie ich finde, eine inhaltliche Auseinandersetzung wert. Die müsste er allerdings eher mit Mario Keßler führen, der zu vorsichtigeren Einschätzungen kommt, welche ich dort referiere, denn eigene Quellenstudien habe ich in diesem Bereich nie angestellt. Der in Rede stehende Aufsatz ist deswegen ja auch als „bilanzierender Literaturbericht“ gekennzeichnet.[2]
Die Schärfe, mit der Kistenmacher ad personam argumentiert überrascht auch deshalb, weil die aufgeregten und z.T. feindseligen Reaktionen auf meinen Artikel (ursprünglich veröffentlicht in der Zeitschrift „Utopie kreativ“ unter dem Titel „Nationaler Kommunismus nach Auschwitz“) damals aus der entgegensetzten Richtung kamen. Uwe-Jens Heuer warf mir in der „jungen Welt“ vor, der Artikel würde von „Voreingenommenheit und Vorurteilen“ nur so strotzen (4.7.2007). Ellen Brombacher von der KPF vermutete im Neuen Deutschland (30.7.2007, S. 21) sogar eine Gleichsetzung der DDR mit dem Nationalsozialismus. Denn im Grundtenor konstatiere und kritisiere auch ich Antisemitismus innerhalb der KPD, der DDR usw. – insbesondere als Folge ihrer teilweise extremen nationalistischen Orientierung. Beide Seiten dieser hoch polarisierten Debatte lesen offensichtlich völlig entgegengesetzte Tendenzen in meinen Text hinein, die mehr über sie selbst als über den Text aussagen – anders kann ich mir den echauffierten Ton der Diskussion nicht erklären. Dass ich Kistenmachers damaligen Kommentar nicht noch einmal ausführlich konsultiert habe, sollte er ertragen können. Auch damals schon war es eher ein polemischer Rundumschlag, jedenfalls keine Einladung zur Diskussion. Schade, aber so stellt sich dieses Forschungsfeld leider in Teilen dar – als Abbild der verkorksten politischen Diskussionen zum gleichen Thema.
[1] Kistenmacher, Olaf (2013), http://www.rote-ruhr-uni.com/cms/IMG/pdf/Ullrich_DeutscheLinkeundNahostkonflikt_2013.pdf.
[2] Ullrich, Peter (2013): Deutsche, Linke und der Nahostkonflikt: Politik im Antisemitismus- und Erinnerungsdiskurs, Göttingen: Wallstein, S. 129.
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